Sind die Tage des Zweifels gegangen,
versickert der Tränennebel im Boden,
halte inne, schweige, schaue, lausche:
Liebe hat so viele Gesichter, und
ganz bestimmt nicht nur das eine
in dessen Spiegel du gerade blickst:
Eurydike, noch einmal möchte ich
dich in meinen Armen halten, nur
einmal noch in deine Augen blicken,
nur einmal noch dich erkennen
auf dieser Erde unter den Sternen.
So laut ich rufe in den stillen Wäldern,
so verzweifelt ringen meine Arme mit
der Leere. Der Tod hat dich aus
meinen Armen gerissen, seine Lektion
meinen Stolz in Demut gewendet.
Wie ich mich drehe, wie ich gehe, welche
Lieder ich singe, eines ist gewiss: niemals
mehr wird das Licht deiner Augen mein
Herz erhellen. Eurydike, mein eigenes
Herz brach ich, indem ich deines brach!
Jetzt gibt es keine Schönheit mehr, keine
Freude, kein ausgelassenes Lachen
und Tanzen mit dir, keine Küsse, die
süßer sind als die Himbeere im Sommer,
keine wilden Liebesspiele im tiefen Gras,
in Vollmondnächten, auf den Pilgerfahrten
zu Aphrodites tiefsten Geheimnis. Eurydike,
dein Schatten heiligt nicht mehr den Boden
neben mir mit seinem sanften Zauber. Im
Reich des Hades bist du nun Schatten unter
Schatten. Ich singe die Lieder der verlorenen
Liebe, aus blutender Wunde meines Herzens.
Singe sie aus mir heraus, Schmerz fließt wie
Blut aus geöffneten Adern, macht die Wälder
stumm. Lieder, die aus einer Tiefe erklingen,
deren Sänger ich längst nicht mehr bin,
sind es doch Lieder aus archaischem Grund
aller menschlichen Herzen, Lieder von
Schmerz und Sehnsucht von Adam und
Eva bis in alle Zukunft. Ich bin, doch bin ich
weder im Tod noch im Leben. Nur die Götter,
die mir jetzt Ziel und Absicht schenken,
rütteln mich aus selbstverlorener Traumzeit.
Eurydike, dich aus dem Hades in Leben zu
führen, das ist ihr zynischer Floh, den sie mir
ins Ohr gesetzt haben. Götter, ihr kennt uns
doch, wir Sterblichen haben nie ein reines Herz!
Misstrauen begleitet uns seit der Geburt,
denn wir Menschen sind es, die das Kind dem
Paradies entreißen! Götter, euer Geschenk
ist ein Danaergeschenk, kein Mensch vertraut
blind! So werde ich mich umdrehen, auf dem
Weg nach oben. Mein Zweifel wird die Geliebte
von neuem in die Schattenwelt verstoßen, drum,
ihr Götter, lasst mich sein: in meinem Schmerz!
(n)
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