Du wolltest nie Dornröschen sein,
es waren nicht Länder, nicht Meere,
die uns trennten. Die trennten uns erst,
als unsere Blicke sich verloren hatten.
So viele Jahre, in denen ich nicht
begriff, was geschehen war, nicht
wusste, wo dein neues Leben, deine
neue Liebe Wurzeln geschlagen hatten.
So starrte ich fragend auf dein altes Foto,
das war schon weich, ein Stück von dir,
Stoff oder Haut, weich von Tränen. Weich
mein Herz, wenn es deiner gedachte.
II.
Irgendwann brachte mich der Tod zurück
in unsere alte Heimat, denn ich sah dich
wieder am Grab des Freundes. Angesichts
des Todes trafen sich unsere Blicke, dein
Anblick erhellte mich tief in jeder Zelle
meines Körpers, sie begannen zu glühen
begannen zu singen, aber es waren keine
Trauerlieder, es waren Lieder der Freude.
Das Wir, neuerlich zum Leben erwacht,
in jenen Augenblicken über den Gräbern,
war wund, so wund, aber auch so voller
Sehnsucht und Liebe, dass ich wankte.
Vor Jahren brach ich dein Herz und du
brachst meines, wir waren so nackt und
ohne Haut, dass jede Berührung schmerzte.
Ich liebte dich, liebte dich doch so sehr.
Jetzt wanke ich, Odysseus, gefallener Held
auf der Suche nach verlorener Heimat. Fand
ich dich endlich endlich, an jenem Ort der
Endlichkeit, an jenem Ort der Ruhe, die wir
nie besaßen. Heute trafen sich unsere Blicke
über dem Grab, sprachen von Wunden, Tränen
und brennenden Brücken ins Nirgendwo,
sprachen von den Irrfahrten im Namen der Liebe.
III.
So war die Glut entfacht angesichts des Todes.
Hand in Hand, gemächlich und ernst, dann
hastig, erregt, irr, rannten wir, rannten fort,
fort von den Menschen, fort von der Trauer,
fort von den gemessenen Bewegungen, den
feierlichen Stimmen. Wilde Kinder, die in ihren
Garten Eden rannten, mit Siebenmeilenstiefeln.
Irgendwo, in feuchtem Gras, zwischen Büschen,
im Schatten der Gräber, erkannten wir uns. Krallten
uns ineinander, Ertrinkende, die für ihr Leben
kämpften, Schiffsbrüchige im Ozean der Liebe,
die sich noch einmal verschenkten auf dem Altar
der Hingabe. Erleuchtete, die sich alles gaben, in
diesem heiligen Augenblick: Die ganze Liebe, das
ganze Leben. So berührten wir, in jenem, niemals
wiederkehrenden Augenblick, in uns das göttliche Licht.
(l)
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