in den Spiegel zu schauen, um die
irre Wahrheit zu erkennen: Fühle
ich mich auch tief drinnen noch so
jung, unbedarft, jung und ewig jung,
stimmen Spiegelbild und Selbstbild
nicht überein. Stetig und mit jedem
neuen Tag. Was weiß ich schon,wie
viele Jahre oder Tage das Leben mir
noch schenkt? Verlängert sich statt
eines Genitals auch ein ganzes Leben?
Mit richtigen Mitteln, mit Worten,
Beschwörungen, Routinen? Oder, was,
wenn ich dir dieselben Lieder singe,
dieselben Schwüre in dein Ohr raune?
Du, Diotima, an meiner Seite, tanzt
Dein Leben mit wilden Gesten. Berühre
ich deine makellose Haut, droht mir die
Unbekümmertheit deiner Zukunft die
Luft zum Atmen zu nehmen. So beuge
ich meine Schultern, wachsam, unter
dem traumverschüchterten Blick des
Fährmanns, der meiner harrt. Stehe
am Abgrund, still, der Atem schwer.
Einen Moment noch, nur einen Augenblick,
schenke mir, Fährmann! Denn mein Herz
ist nicht bereit. Nein, noch ist es nicht frei,
es streckt sich, wendet, windet sich,
gefangen im süßen Netz meiner Liebe.
Einmal noch, Diotima, tanze einmal noch
mit mir, bevor mein Licht vergeht. Tanze,
tanze mit mir den Tanz der Liebe, den
einen Tanz, in dem das Ich sich verliert
in seliger Bewegtheit, in der alle Grenzen
sich öffnen, alle Bedeutungen verblassen,
wie die Gesten, wie Gestern und Morgen.
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