PROLOG
Die Wege der Liebe, sie führen durch Licht und Schatten,
durch magische Landschaften, durch wirre Wetter.
In endlosen Ebenen, bei Sonne und Sturm, weisen
sie den Weg: über die Gipfel der Sehnsucht, durch die
Tiefen der Angst, dorthin, wo wilde Wasser schäumen.
Gnadenlos, sirenengleich, zerren sie, zerren in jenen
Mahlstrom, in das Dunkel des Unbewussten. Eine ganze
Welt, gerade noch erstrahlt in seligem Licht, verblasst.
Verdunkelt im Zorn der Eitelkeit, im Meer der Tränen.
die Wege der Liebe, sie schenken Glanzlichter, Märchen,
Freude, Gipfel erwachsender Lust. Enthüllen Abgründe,
die in Reichweite lauern wie gierige Giftschlangen.
verborgen im Schleier, den klaren Blick verhüllt,
bis dir Schuppen der Wahrheit von den Augen fallen:
BERGWANDERUNG
Deshalb: Beginne mit den kleinen Bergen.
Sie lehren dich alles. Jeder Berg fordert:
Gutes Schuhwerk, angemessene Kleidung,
beides gut besorgt und gepflegt, sonst
Fordert diese Reise schnell ihren Tribut.
Wähle mit Sorgfalt. Wenn du dich zu warm
anziehst, magst du zwar glauben, gut geschützt
zu sein vor allen Wettern, doch du wirst unbeweglich
und versteifst. Deine Wärme bleibt in dir, statt
nach Außen zu strahlen. Dann wirst du innen
brennen, aber außen keine Wärme schenken.
Wählst du aber deine Kleidung zu leicht, oder
gehst du gar ohne Kleidung, dann mag das zwar
für einen Garten Eden einstmals das rechte Outfit
gewesen sein, aber aus dem sind wir längst:
Vertriebene. Bedenke, wenn dir Leichtigkeit
im Sinn steht, dann wirst du nicht weit kommen
und schon in der ersten Nacht, wenn die Sonne nicht
mehr scheint, nur noch fortrennen, dich hoffnungslos
verirren oder verzweifelt anderen Pilgern anschließen.
Wenn du fragst nach der idealen Route, dann lautet die
Antwort: Sie existiert nicht, es gibt nur deinen eigenen
Weg. Die leise Stimme deines Herzens weist ihn.
Haushalte mit deinen Kräften. Ein erfahrener
Wanderer beginnt nicht mit dem höchsten Gipfel.
Wachsen Berge höher, achte gut auf deine Schritte.
Sei niemals achtlos. Stets brauchst du festen Tritt.
wisse um den richtigen Pfad, baue auf die Stimme
deines Herzens und nicht auf Claqueure und Sherpas.
Sei achtsam, der Weg führt vorbei an den tückischen
Schluchten alter Erfahrungen, verdrängten Schmerzes,
eitlen Besserwissens, all diesen aufgeblasenen Dämonen,
die dir Rüstung und Panzer versprechen, dich jedoch
gnadenlos hinabziehen in die Tiefe. Dein Gang
beginnt zu zagen, deine Beine zu zittern, halt ein!
Sprich mit dem Geliebten, sprich mit ihm über
deine Dämonen, deine Ängste und Zweifel.
Lausche andächtig den seinen. Seid zwei, nicht ein.
Plane kürzer, verlängere die Pausen, sing mit dem
Geliebten, tanz mit ihm, macht Liebe, nehmt euch
bei der Hand, baut einen Biwak, haltet euch ganz fest.
Auch Staub und Nebel verfliegen. Mag es einen Tag dauern
oder länger: Verstumme niemals, erstarre nicht, sonst wird
jeder für sich allein erfrieren in der Kälte des Schweigens.
Sprich mit den Einheimischen, mit den Vögeln, mit den
Bergziegen, sie kennen die Landschaft, sie lehren euch vieles,
wenn ihr still zuhört. Aber geht nicht zurück, es gibt keinen
bequemeren Weg. Sei achtsam in jedem Schritt, sei entspannt,
atme gut, lache, singe, tanze, liebe. Erfreue dein Herz an der
Schönheit der Geliebten, der Schönheit der Landschaft.
Vertraue dir selbst und vertraue deinem Geliebten.
Sei ganz und gar da, lausche der Stimme in dir,
dein Herz spricht leise, lass es singen, singe mit
deinem Geliebten. Trägt es doch die Weisheit und das
Wissen aller Herzen in sich, die jemals gegangen sind.
Benutze die Augen aller Herzen, die jemals lebten.
Wähle dein Ziel gut aus. Bedenke, dass die leichteren Gipfel
nur Übung sind für die schwierigen. Der Tag wird kommen, an
dem die Gnade augenblicklicher Glückseligkeit in dir lächelt.
Jeder Gipfel schenkt dir einen einzigartigen Ausblick, einen
Ausblick über die Welt, über die vollkommene Schönheit, die
Liebe, die die Schöpfung ist. Dann fühlst dich den Himmeln so nah.
Dann magst dich wie der Himmel selbst fühlen. Denn
all das sind die Wege der Liebe. Sie sind nicht nur wie
das Leben, sie sind die Wege zum Leben selbst.
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foto: vkd |